Zollikoner Seminare

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موقت

Martin Heidegger

Zollikoner Seminare

Protokolle - Zwiegesprache - Briefe

Herausgegeben von Medard Boss

2. Auflage 1994

Vorwort

Dieses Buch verdankt seine Entstehung dem Wunder, das Martin Heidegger, der jahrlich Hunderte von Briefen aus aller Welt empfing und nur wenige beantwortete, schon meine ersten an ihn geriditeten Zeilen einer überaus liebenswurdigen Entgegnung wurdigte. Das war kurz nach Kriegsende im Jahre 1947. Zu diesem Ereignis gehort indessen eine jahrelange Vorgeschichte.

Wie alle psychisch und physisch nicht angeschlagenen Schweizermanner hatte ich die ganze Zeit des Krieges über aktiven Militardienst zu leisten. Immer wieder wurde ich im Laufe jener Jahre aus meiner zivilen Arbeit als Dozent und Psychotherapeut fur Monate herausgerissen und als Bataillonsarzt zu einer Gebirgstruppe der Schweizer Armee versetzt. Wie es die Truppenordnung der Schweizerischen Armee vorschreibt, waren mir nicht weniger als drei Assistenzarzte zugeteilt. Die Truppe, die idi zu betreuen hatte, bestand aus einer kraftigen, arbeitsgewohnten Gebirgs- und Landbevolkerung. Deshalb war ich die ganze lange Militardienstzeit über nahezu arbeitslos.

Zum ersten Mal in meinem Leben packte mich ab und zu die Langeweile. In ihr wurde mir das, was man >Zeit nennt, problematisch. Idi fing an, über dieses >Ding eigens nachzudenken. Ich. suchte Hilfe in all der mir zuganglichen einschlagigen Literatur. Zufallig kam mir dabei in einer Tageszeitung eine Notiz über Martin Heideggers Buch ≫Sein und Zeit≪ in die Hande. Ich sturzte mich auf diese Schrift, muste indessen feststellen, das ich von ihrem Inhalt kaum einen Satz verstand.

Fragen über Fragen wurden in diesem Buch aufgeworfen, denen ich in meiner ganzen naturwissenschaftlich ausgerichteten Erziehung noch nie begegnet war. Beantwortet wurden sie vornehmlich durch Hinweise auf neue Fragwurdigkeiten. Enttauscht legte ich auch dieses Buch, erst halb gelesen, auf die Seite. Doch sonderbarerweise lies es mich nicht in Ruhe. Immer wieder muste ich es hervorholen und von neuem mit seinem Studium beginnen. Diese erste Zwiesprache mit Martin Heidegger überdauerte das Kriegsende. Sie weitete sich zunachst aus auf Nachforschungen über die Person dieses Autors. Die Auskunfte waren furs erste verheerender Natur. Von ernsthafter philosophischer Seite wurde mir nur immer von jeder weiteren Beschaftigung mit Martin Heidegger und seinem Werk abgeraten. Das stets wiederkehrende Argument dieser Warnungen bestand vorwiegend aus der Kennzeichnung von Martin Heidegger als einem typischen Nazi-Mann .

Indessen wollte dieses Schimpfwort ganz und gar nicht zu dem passen, was mir beim Lesen von ≫Sein und Zeit≪ begegnete. Vielmehr ahnte idi zunachst mehr, als das ich es streng denkend hatte nachvollziehen konnen, das in diesem Werk grundlegend neue, unerhorte Einsichten in das menschliche Existieren und seine Welt zu Worte kamen. Zwar sagte mir mein Verstand mit all dem in ihm verpackten psychiatrischen Wissen, das der Genialitat des Denkens eines Menschen sein soziales Verhalten, das politische mit inbegriffen, keinen Abbruch zu tim brauche. Doch hatte ich es nicht über das Herz gebracht, mich mit einem Menschen personlich abzugeben, dem konkrete Gemeinheiten gegenüber seinen Mitmenschen hatten nachgewiesen werden konnen. Deshalb begann ich unmittelbar nach Kriegsende, sowohl bei den franzosischen Besatzungsbehorden als auch bei den obersten Instanzen der UniversitatFreiburg i. Br. im Rahmen des mir damals Moglichen, Nachforschungen über Martin Heidegger anzustellen. Beides erbrachte mir aber schlieslich die Gewisheit, das Martin Heidegger wohl wahrend einer kurzen Anfangszeit manche >weltfremde Verkennungen und Misverstandnisse unterlaufen waren. Er hatte zunachst allen Ernstes geglaubt, das Hitler und dessen Massen einen Wall gegen die hinter ihnen heranbrausende Woge geistiger Nacht in Gestalt des politischen Kommunismus aufzubauen imstande sein konnten. Doch von einer konkreten wissentlichen Gemeinheit seinen Mitmenschen gegenüber kam nichts an den Tag. Und wenn idi mich bemuhte, mir selbst gegenüber absolut ehrlich zu sein, muste ich zugeben, nicht beschworen zu konnen, das ich — vorausgesetzt, ich hatte in den gleichen damaligen umweltlichen Verhaltnissen wie Martin Heidegger existieren mussen - nicht auch das Opfer analoger Irrtumer hatte werden konnen. Dies, obgleich ich damals aus meiner schweizerischen Perspektive eindeutig antihitlerischer Gesinnung war und keinen Augenblick in meiner Bereitschaft schwankte, im Notfall als Soldat meinen Mann bis zum Letzten gegen deutsche Invasoren zu stehen.

Andererseits kam bei Nachforschungen deutlich genug zum Vorschein, das Martin Heidegger der am grundlichsten verleumdete Mensch war, der mir bisher begegnet war; verstrickt in ein Lugennetz vieler seiner Kollegen. Die meisten von denen, die der Sache des Heideggerschen Denkens nicht ernstlich etwas anhaben konnten, versuchten dem Menschen Heidegger durch personliche Attacken beizukommen. Ratselhaft blieb nur, weshalb sich dieser gegen die Verleumdungen nicht offentlich zur Wehr setzte. Gerade diese erstaunliche Wehrlosigkeit in Sachen der eigenen Person wurde mir jedoch zum Ansporn, nach Kraften zu seiner Verteidigung anzutreten.

Jedenfalls lag fur mich vom Jahre 1947 an kein zwingender Grund mehr vor, der mich von einem ersten personlichen Annaherungsversuch hatte abhalten konnen. Ich als Arzt schrieb dem Philosophen einen Brief, in dem ich ihn um denkerische Hilfe bat. Gros war mein Erstaunen, als dann postwendend eine Antwort eintraf. Darin erklarte sich Martin Heidegger in freundlicher Weise bereit, alle ihm mogliche Hilfe zu leisten. Zunachst folgte ein Schriftwechsel, aus dem bis zum Tode des Denkers eine Sammlung von 256 Briefen entstand. Über 50 Kartengruse schickte er auserdem, wenn immer er auswarts war.

Sobald die Landesgrenze wieder einigermasen durchgangig war, kamen regelmasige personliche Hausbesuche und Gegenbesuche zustande. Schon bei der ersten Begegnung in Martin Heideggers Berghutte in Todtnaüberg im Sommer 1949 hatte sich zwischen Martin Heidegger und mir auf den ersten Blick eine gegenseitige mitmensduiche Sympathie eingestellt. Nach und nach reifte sie zu einer herzlichen Freundschaft. Das wesentlichste Motiv zur raschen Antwort auf meinen ersten Brief wurde allerdings erst viel spater verraten. Martin Heidegger - so gestand er selbst einmal - erhoffte sich von Anfang an viel von einer Verbindung mit einem Arzt, der sein Denken weitgehend zu verstehen schien. Er sah die Moglichkeit, das seine philosophischen Einsichten nicht nur in den Stuben der Philosophen steckenblieben, sondern viel zahlreicheren und vor allem auch hilfsbedurftigen Menschen zugute kommen konnten.

Von der Zeit an allerdings, da erstmals Seminare in die ganz privaten Hausbesuche Martin Heideggers bei mir eingebaut wurden, dachte noch fur manches Jahr niemand an deren wortliche Protokollierung, noch gar an eine spatere Drucklegung dieser Protokolle. Ich hatte es zunachst nur nicht in Ordnung gefunden, das ich allein Nutznieser vom haufigen Umgang mit dem grosen Denker sein sollte. Darum lud ich vom Jahre 1959 an jeweils anlaslich der meist 14 Tage dauernden Hausbesuche Martin Heideggers in Zollikon 50-70 Kollegen und psychiatrische Studenten zu Seminaren in mein Zollikoner Haus ein. Martin Heideggers Hausbesuche in Zollikon fanden zwei- bis dreimal pro Semester statt. Nur gelegentlich machten meine mehrmonatigen Auslandsaufenthalte grosere Abstande unvermeidlich.

An zwei Abenden pro Woche opferte jeweils Martin Heidegger den Gasten je drei Abendstunden. Den ganzen Tag vorher pflegte er sich sehr sorgfaltig auf diese Seminare vorzu bereiten. Es war ihm hodi anzurechnen, das er, unbeschadet seiner Verachtung fur die psychologischen und psychopathologischen Theorien, die unsere Kopfe fullten, die an eine Sisyphosarbeit gemahnende Aufgabe auf sich nahm, wahrend eines vollen Jahrzehnts im Rahmen der inzwischen weitherum beruhmt gewordenen ≫Zollikoner Seminare≪ meinen Freunden, Kollegen und Schulern ein tragfahiges geistiges Fundament fur unser arztliches Tun und Lassen zu vermitteln. In der unermudlichen, nie erlahmenden Geduld und Langmut, mit der er diese Unternehmung bis an die Grenzen seiner physischen Moglichkeiten durchhielt und erfullte, liegt der unerschutterliche Beweis fur die Grose von Heideggers eigener Mitmenschlichkeit vor. Mit diesem seinem Verhalten unserem Zollikoner Kreis gegenüber belegte er, das er von der hochsten Form der Mitmenschlichkeit, der selbstlos liebenden, den Anderen fur sidi freigebenden vorausspringenden Fürsorge nicht nur zu sagen und zu schreiben wuste, sie vielmehr auch in exemplarischer Weise zu leben bereit war.

Die Reihe der Seminare begann am 8. September 1959 mit einem Vortrag Martin Heideggers im Grosen Horsaal der Psychiatrischen Universitatsklinik von Zurich, ≫Burgholzli≪ genannt. Indessen erwies sich diese Ortswahl als wenig glucklich.

Der frisch renovierte Horsaal war so hochmodern technifiziert worden, das seine Atmosphare schlecht zu Martin Heideggers Denken paste. Darum wurde schon das rasch folgende zweite Seminar in mein Haus in Zollikon verlegt. Alle nachfolgenden Seminare blieben dort, ein volles Jahrzehnt über.

Erst von 1970 an lies es mir mein arztliches Gewissen nicht mehr zu, bei den nun altershalber rasch abnehmenden physischen Kraften Martin Heideggers, ihm langer die grosen Anstrengungen seiner Zollikoner Seminare zuzumuten. Seine Denkhilfe erbat ich mir von da an nur noch brieflich oder holte sie mir bei Besuchen in Martin Heideggers Heim in Freiburg.

Volle vier Jahre dauerte es vom Beginn der Seminare an, bis mir ein Licht aufging und ich inne wurde, das in deren Verlauf aus Martin Heideggers Munde Einsichten zu vernehmen waren, die so nirgends sonst gehort werden konnten. Miserfolge beim Protokollieren der Seminare durch Studenten

zwangen mich rasch, die Protokollfuhrung in die eigenen Hande zu nehmen. Schon vom nachsten Seminar an protokollierte ich selber wortwortlich jede Auserung Martin Heideggers nach.

Unmittelbar darauf pflegte ich das Stenogramm auf ein Tonbandgerat zu diktieren. Von dort ans übertrug es meine Sekretarin in Schreibmaschinenschrift. Diese Protokollentwurfe wurden darauf regelmasig Martin Heidegger nach Freiburg nachgesandt.

Er korrigierte sie mit groster Sorgfalt, fugte da und dort kleinere, gelegentlich auch grosere Erganzungen in seiner deutschen Handschrift hinzu und lies sie — so korrigiert und erganzt — an mich zuruckgehen. Die durch Martin Heidegger eigenhandig korrigierten und damit von ihm auch voll autorisierten Protokolle in Reinschrift lies ich schlieslich vervielfaltigen, damit jeder Seminarist eine Unterlage und Vorbereitungsmoglichkeit fur das nachste Seminar in den Handen hatte.

Einige der Seminare wurden so protokolliert, das aus der Aufzeichnung auch fur den Leser offenkundig werden mus, wie unendlich muhsam sich zu Anfang diese Seminare gestalteten.

Mit aller Deutlichkeit kommt dabei in den durch lange Schweigepausen auseinandergehaltenen Reden und Gegenreden zum Vorschein, das die meisten von Martin Heideggers Fragen den naturwissenschaftlich geschulten Arzten überhaupt noch nie als Fragen begegnet waren. Viele der Teilnehmer schienen geradezu schockiert und emport darüber zu sein, das man so zu fragen sich erlaubte. Hinzu kam, das auch ich selbst zu Anfang der Seminare Ende der funfziger Jahre erst anfangerhaft das Denken Martin Heideggers nachzuvollziehen in der Lage war. Deshalb vermochte ich nur geringe Hilfe bei der Überwindung der Gesprachsstockungen zu leisten. Des ofteren riefen diese Seminar-Situationen die Phantasien wach, es wurde erstmals ein Marsmensch einer Gruppe von Erdbewohnern begegnen und sich mit ihnen verstandigen wollen.

Heute, mehr als zwanzig Jahre nach den ersten Zollikoner Seminaren, scheint dieser Vergleidi arg zu übertreiben. Gewis sind inzwischen einige der charakteristischen neuen Worte Martin Heideggers, wie etwa das Reden vom In-der-Welt-sein oder von der Sorge, vertrauter geworden. Das eine oder andere von ihnen ist doch bereits bis in sehr alltagliche und anspruchslose illustrierte Zeitungen vorgedrungen. Ob es sich dabei allerdings um eine echte Vertrautheit im Sinne eines tiefgangigen Verstehens ihres Sinnes handelt oder blos um eine eher oberflachliche Angewohnung des Ohres, ist dabei noch nicht entschieden.

Jedenfalls ist die gleiche Frage auch heute noch des ofteren zu horen, die seinerzeit von den Seminar-Teilnehmern ab und zu direkt an Martin Heidegger zu richten gewagt wurde. Sie pflegte sich in die Redewendung zu kleiden, warum denn Martin Heidegger seine Sache nicht in einem allgemein verstandlichen Deutsch zu sagen sich bemuhe. Des Denkers Antwort lautete regelmasig: Wir konnen doch immer nur so sagen, wie wir denken, und denken, wie wir reden. Gehe nun der Wesensgrund einer Sache — und sei diese das Mensch-sein selbst — in der Erfahrung eines neuen Denkens und Sehens in anderen Bedeutsamkeiten auf, verlange dies von sich aus auch ein neues, ihr gemases Sagen. Bleibe man zum Beispiel bei der Bestimmung des Menschen beim Reden von einem Subjekt oder einem >Ich, dann bliebe auch das Verstehen des Wesensgrundes des Mensch-seins, der in einem Aushalten eines vernehmenden Welt-Offenstandigkeits-Bereiches besteht, vollig verhullt.

Beim Vorliegen solch damaliger enormer Verstandigungsschwierigkeiten mag das Seltsamste der Zollikoner Seminare darin gelegen haben, das sie weder Martin Heidegger noch einem der Seminaristen je zu dumm wurden. Hartnackig arbeiteten sich Lehrer und Schuler der ersten Stunde durch die Jahre hindurch einander entgegen.

In den Tagen zwischen den Seminaren blieben Martin Heidegger und mir viele Stunden, die uns reichlich Zeit zu Zwiegesprachen liesen. Auch in bezug auf Martin Heideggers Aussagen bei diesen Gelegenheiten kam mir mit der Zeit die Idee, sie mitzustenographieren. Begreiflicherweise vermochte ich nur einen Bruchteil all dessen festzuhalten, was in diesen Diskussionen verlautbart wurde. Diese Stenogramm-Sammlung bildet den zweiten Teil dieses Buches.

In wenigen Fallen sind anstelle von Protokollen und Stenogrammen handschriftlich abgefaste Texte abgedruckt, die Martin Heidegger zur Vorbereitung der Seminare bzw. der Zwiegesprache verfast und mir danach überlassen hat. Die entsprechenden Texte sind im Inhaltsverzeichnis und im Textteil ausgewiesen.

Bei der Zitation philosophischer und literarischer Texte hat Martin Heidegger im Hinblick auf die Zusammensetzung der Seminarteilnehmer zumeist auf in jener Zeit leicht zugangliche Ausgaben zuruckgegriffen. In den Protokollen wurden - mit wenigen Ausnahmen - die jeweiligen benutzten Ausgaben jedoch nicht vermerkt. Sowohl im Hinblick auf diesen Umstand, als auch im Hinblick darauf, das sich die Veroffentlichung der Zollikoner Seminare an einen weiteren, nicht nur >fachspezifisch philosophisch orientierten Leserkreis wendet, werden — analog dem damaligen Verfahren Martin Heideggers — philosophische und literarische Texte, deren Ausgaben in den Protokollen nicht belegt sind, anhand heute leicht zuganglicher Ausgaben zitiert. Bei der Wiedergabe von Texten aus den Schriften des Aristoteles hat Martin Heidegger stets eigene Übersetzungen vorgetragen, so das sich der Verweis auf bestimmte Aristoteles-Übersetzungen erubrigt.

Ein dritter Teil des Buches befast sich mit den 256 Briefen, die mir Martin Heidegger von 1947 an schrieb. Von ihnen sind im folgenden nahezu die Halfte ganz oder teilweise zu lesen.

Abkurzungen in den Briefen wurden weitgehend aufgelost, Daten zumeist ausgeschrieben. Die Interpunktion wurde den heutigen Regeln angepast. Einige wenige offensichtliche Schreibfehler sind stillschweigend berichtigt worden. Heidegger- eigentumliche Schreibweisen wurden beibehalten. Erklarende Bemerkungen des Herausgebers erhielten eckige Klammem, soweit sie nicht in Fusnoten gesetzt wurden.

Zahlreiche Eigennamen blieben in diesem Buch ungedruckt: überall dort, wo die Anonymitat dem Gehalt der betreffenden Stelle keinen Abbruch tat. Andere Eigennamen allerdings durften nicht eliminiert werden, weil sonst der ganze Kontext unverstandlich geworden ware. Fur jeden dieser Entscheide holte ich jedoch noch zu Lebzeiten Martin Heideggers dessen Einverstandnis ein.

Naturlich wird mit dieser Veroffentlichung bei weitem nicht der Umkreis der geistigen Ausstrahlung Martin Heideggers ausgelotet. Dieses Denkers neue Einsichten in das, was ist und wie es ist, haben schon langst begonnen, die ganze Welt zu umspannen. Jedenfalls ist schwerlich ein Fleckchen Erde zu finden, das von ihnen noch vollig unberuhrt geblieben ware. Freilich werden sie zumeist nur von Vereinzelten wachgehalten.

Sie sind im Grunde viel zu einfach, als das sie von den an komplizierteste Formeln gewohnten Menschenmassen unseres technischen Zeitalters ohne Muhe nachvollzogen werden konnten. Der Denker selbst sprach oft von einer besonderen Blindheit seinen Einsichten gegenüber; auch davon, das den von ihr Befallenen nicht zu helfen sei.

Auch ist nicht auser acht zu lassen, das Martin Heideggers grundlegende Besinnung dem Menschen noch eine weitere Entthronung zumutet, vor der viele die Augen krampfhaft verschliesen.

Schon Sigmund Freud hatte seine Entdeckung eine zweite kopemikanische Wende genannt. Nicht genug damit, das Kopemikus unsere Erde aus dem Mittelpunkt des Universums verdrangte, hatte Freud aufzuzeigen vermocht, das das selbstherrliche menschliche Bewustsein von ≫Es-Kraften≪, wie er sie nannte, und deren Herkunft und Wesen unbekannt seien, hin und her getrieben werde. Martin Heidegger erkannte darüber hinaus, das es auch mit dem ganzen menschlichen Subjekt als dem Mas und als dem Ausgangspunkt aller Dinge nicht weit her sei. Vielmehr ist auch es >nur etwas, das ist, ein Seiendes unter tausend anderen Seienden, und als solches angewiesen und in seinem Seiend-sein unablassig gehalten vom Ereignis des Seins, der Entbergung. Allerdings kommt ihm, dem Menschsein, dabei die hohe Wurde und Auszeichnung zu, als jenes Offene und Gelichtete existieren zu durfen, was als solches jeglichem, das zu sein hat, als dessen unabdingbare Erscheinungs- und Entfaltungsstatte zu dienen hat.

Deshalb darf die Hoffnung genahrt werden, das Martin Heideggers fundamentale Einsichten selbst noch in etwelcher Verdunnung zu einer Vermenschlichung unserer Welt beitragen werden, einer Vermenschlichung in dieses Wortes positivstem Sinne. Gerade nicht im Sinne einer noch groseren Versubjektivierung des menschlichen Geistes zu einem absoluten Alles-Macher, sondern zu einem Sich-fugen in ein dem Menschenwesen zugedachtes Lieben alles dessen, was sich aus der Offenheit seiner Welt her entbirgt und sich ihm als Seiendes zuspricht.

Tiefe Dankbarkeit erfullt den Herausgeber gegenüber Dr. Hermann Heidegger, dem sein Vater das Imprimatur fur den Druck des gesamten Nachlasses übertrug. Er hat auch das vorliegende Buch mit auserordentlicher Sorgfalt betreut. Nidit minder gros ist der Dank gegenüber Herrn Prof. F.-W. von Herrmann, der der sachkundige Mitarbeiter von Dr. Hermann Heidegger ist. Thm verdankt der Herausgeber insbesondere die Erstellung des sehr differenzierten Inhaltsverzeichnisses. Er war es auch, der Herrn Dr. Heidegger und mit ihm zusammen den Verleger Herrn Michael Klostermann und mich auf die Idee brachte, den Band ≫Zollikoner Seminare≪, der innerhalb der Gesamtausgabe eigentlich erst fur eine wesentlich spatere Zeit vorgesehen war, in Form eines Einzelbandes zeitlich vorzuziehen.

Es ist sehr unwahrscheinlich, das der jetzige Herausgeber auch im nachsten Jahrzehnt noch leben wird. Zugleich ist es schwierig, sich auszudenken, wer nach ihm die Stenogramme der Seminare, die der Zwiegesprache und die Brief auszuge hatte zusammenstellen und druckfertig machen konnen. Sehr zu Dank verpflichtet ist der Herausgeber ferner Herrn Dr. Hartmut Tietjen fur seine Kontrolle der Literatur-Angaben. Dank gebuhrt auch meiner Ehefrau Marianne Boss-Linsmayer. Ohne ihre sachkundige Mitarbeit im Ordnen und in der Auswahl von Martin Heideggers Schriftstucken hatte dieses Buch nie erscheinen konnen. Nicht zuletzt habe ich ferner Frau Karin Schoeller — von Haslingen fur ihre aufopfernden Korrekturhilfen zu danken.

Im Frühjahr 1987

Medard Boss

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برچسب : نویسنده : 3denkenserfahrung0 بازدید : 23 تاريخ : سه شنبه 15 اسفند 1402 ساعت: 23:48